Zwei Erfindungen, die die Welt und ihre Wahrnehmung verändert haben – und für die ich jeden Tag dankbar bin. Komm mit auf einen kleinen Ausflug in die Technikgeschichte!

Stell dir vor…

Die zwei Hauptzutaten meiner Kunst, Züge und Kameras, sind heute aus unserem Alltag überhaupt nicht mehr wegzudenken. Jede Stadt und viele kleinere Orte sind mit der Bahn erreichbar, und auch wenn kaum noch jemand einen “Fotoapparat” mitschleppt, ist doch das Fotografieren nicht erst seit dem Siegeszug der Smartphones allgegenwärtig.

Kannst du dir vorstellen, wie es war, als die ersten Eisenbahnen durch die Landschaft fuhren? Wie faszinierend diese neue Transporttechnik für die Menschen des 19. Jahrhunderts gewesen sein muss, und wie atemberaubend und vielleicht auch furchteinflößend die Geschwindigkeiten?

Was Victor Hugo mit Eisenbahngeschichte zu tun hat

Meine Begeisterung für Eisenbahngeschichte wurde übrigens direkt von meiner Liebe zur Bewegungsunschärfe ausgelöst. Nachdem ich im Studium damit begonnen hatte, Landschaften in Bewegung zu fotografieren, fiel mir das Buch “Die Geschichte der Unschärfe” in die Hände. Darin fand ich ein Zitat, das ganz genau daus ausdrückt, was ich mir der Kamera festhielt: Der große französiche Dichter Victor Hugo saß im Jahre 1837 zum ersten Mal in einem Zug. Er war so fasziniert von der Geschwindigkeit und davon, wie diese die Wahrnehmung verändert, dass er sie in einem Brief an seine Tochter Adele festhielt:

Eine Lithografie aus dem Jahr 1839, die eine Eisenbahnlinie mit Zug und offenen Waggons zeigt. Im Hintergrund ist eine Stdt zu erkennen (Nürnberg), im Vordergrund Personen

Die Eisenbahnlinie Nürnberg-Fürth war die erste in Deutschland und wurde 1835 eröffnet. Diese Lithografie von 1839 zeigt die Dampflokomotive sowie die offenen Eisenbahnwaggons, die damals üblich waren.

“Die Blumen am Feldrain sind keine Blumen mehr sondern Farbflecken, oder vielmehr rote oder weiße Streifen; es gibt keinen Punkt mehr, alles wird Streifen; die Getreidefelder werden zu langen gelben Strähnen, die Kleefelder erscheinen wie lange grüne Zöpfe; die Städte, die Kirchtürme und die Bäume führen einen Tanz auf und vermischen sich auf eine verrückte Weise mit dem Horizont…”*

Ich wollte dieses Zitat auf alle Fälle im Textteil meiner Diplomarbeit verwenden, und war gespannt, was Hugo noch geschrieben hatte. Der Autor meines Buches über die Geschichte der Unschärfe hatte dieses Zitat aus der “Geschichte der Eisenbahnreise” übernommen, und ich hatte ein neues Buch auf meiner Leseliste. Neben der Enttäuschung darüber, dass es keine weitere Quellenangabe für das Victor Hugo Zitat gab, war ich einfach nur begeistert. Bis dahin hatte ich mir niemals Gedanken darüber gemacht, was die Erfindung der Eisenbahn für einen unglaublichen Einfluss auf die Gesellschaft hatte! Und neben einem Einblick in die Technikgeschichte bekam ich auch gleich noch ein besseres Gefühl für diese spannende Zeit, in der auch die Erfindung der Fotografie liegt.

Von eisernen Rössern und Zauberkisten

sehr körnige schwarz-weiß Aufnahme von Gebäuden und Dächern

Die erste bis heute erhaltene Fotografie der Welt, der Blick aus dem Arbeitszimmer von Joseph Nicéphore Niépce – 1826

Während die Dampfmaschine die industrielle Ferigung und den Transport revolutionierte, wurde auch an verschiedenen Verfahren mit lichtempfindlichen Stoffen geforscht; und so die Grundlagen für die Fotografie geschaffen. Maler nutzten damals bereits die optischen Prinzipien der “Camera Obscura” um naturgetreue Abbilder auf Papier zu projizieren, diese mussten dann allerdings abgezeichnet werden. Doch auf einmal gab es einen fast magisch erscheinenden Vorgang, der in den riesigen Fotoapparaten und Dunkelkammern ablief, und die Wirklichkeit exakt festhalten konnte. Auch wenn diese beiden Erfindungen wenig miteinander zu tun hatten, so liefen sie doch fast zeitgleich ab:

Im Jahre 1825 wurden in England auf der Eisenbahnstrecke zwischen Stockton und Darlington zum ersten Mal Passagiere mit einer dampfbetriebenen Lokomotive befördert.
1826 hielt Joseph Nicéphore Niépce erfolgreich die Aussicht aus seinem Arbeitszimmer auf einer beschichteteten Asphaltplatte fest. Dieser Blick aus dem Fenster gilt als älteste bis heute erhaltene Fotografie der Welt. Die Belichtung dieser sogannten “Heliografie” dauerte etwa 8 Stunden, aber sie zeigte, dass es möglich war, Lichtbilder dauerhaft zu fixieren. Niépce begann einen regen Briefaustausch mit dem Maler Louis Daguerre über seine Erkenntnisse. Er starb 1833, einige Jahre vor der offiziellen Vorstellung eines kommerziell nutzbaren fotografischen Verfahrens.

Während Niépce und Daguerre in Frankreich die Daguerrotypie verfeinerten und Talbot in England die Grundlagen für das Negativ-Positiv Verfahren legte, wurden in Nordamerika und Kontinentaleuropa erste Eisenbahnstrecken gebaut. Die erste Strecke in Deutschland (Nürnberg-Fürth) wurde im Jahr 1835 eröffnet.

Die Wunder ihrer Zeit werden zum Alltag

Ein schwarz-weißes historisches Portrait von Louis Daguerre, sitzend

Eine Daguerrotypie von Louis Daguerre, aufgenommen von Jean-Baptiste Sabatier-Blot im Jahr 1844

Ich kann nur vermuten, dass die Strecke, die Victor Hugo zu seiner poetischen Beschreibung inspiriert hat, die 1837 eröffnete Passagierlinie Paris – Le Pecq war. Innerhalb weniger Jahre wurde die Eisenbahn von einer ängstlich bestaunten Neuerung zum Teil des Lebens. Das Eisenbahnzeitalter hatte begonnen.

2 Jahre nachdem Victor Hugo festgestellt hatte, das aller Punkt sich in Streifen verwandelte, stellte Louis Daguerre in Paris seine Daguerrotypie vor, ein Verfahren mit dem Bilder in feinsten Details auf lichtempfindlichen Metallplatten festgehalten werden konnte. Er machte diese Technik damals frei zugänglich, so dass sie sich innerhalb kürzester Zeit weltweit verbreiten konnte. Daher gilt diese Vorstellung als die Geburtsstunde der Fotografie. Da anfangs noch bis zu 15 Minuten belichtet werden musste, konnten zunächst keine bewegten Objekte oder Menschen aufgenommen werden. Die Technik war aber innerhalb weniger Jahre so weit fortgeschritten, dass auch scharfe Portraitaufnahmen möglich wurden.

Schnelle Zeiten

EIn nachcoloriertes Portrait einer sitzenden Mutter mit einem ca. 2jährigen Kind auf dem Schoß. Das Gesicht des Kindes ist bewegungsunscharf, die colorierung überwiegend hellblau (Kleider von Mutter und Kind, Blumen am Bildrand)

Diese Ambrotypie stammt von ca. 1860 und wurde nachträglich coloriert. Die Mutter ist scharf abgebildet, das Kind hat sich während der Aufnahme bewegt.

Nicht nur die Eisenbahnen wurden also immer schneller, sondern auch die Fotografie. Denn je lichtempfindlicher man die Materialien herstellen konnte, umso weniger hatte man mit einer unbeliebten Erscheinung zu tun, der Bewegungsunschäfe. Was damals noch als Bildfehler galt, ist heute mein liebstes Stilmittel…

Über Fotografiegeschichte habe ich im Studium einiges gelernt (und vieles wieder vergessen). In der Einheitlichkeit der heutigen Digitalfotografie kann man sich kaum vorstellen wie viele unterschiedliche Verfahren, Materialien und Herangehensweisen es gab, um Abbilder der Natur festzuhalten. Auf die Daguerrotypie folgte mit der Abrotypie ein weiteres Direkt-Positivverfahren, William Henry Fox Talbot entwickelte Papiernegative, mit dem Kollodium-Nassverfahren waren zum ersten Mal Glasplatten im Einsatz, und als die Gelatinebeschichtung erfunden war, konnte fotografisches Material zum ersten Mal in großem Maßstab vorbereitet und vertrieben werden.

Und hier kommen die Gebrüder Lumière ins Spiel: Sie entwickelten in den 1880er Jahren deutlich empfindlichere Platten als andere Anbieter und bauten damit ein kleines Imperium auf: 1894 stellten die Lumière-Brüder etwa 15 Millionen Fotoplatten her und hatten 300 Arbeiter angestellt. Daneben beschäftigten Sie sich mit bewegten Bildern, und entwickelten die Cinematografie.

Als die Bilder Laufen lernten

Es gibt eine wunderschöne Anekdote, für die ich leider keinerlei historische Belege finden konnte. Die Gebrüder Lumière sollen, so heißt es, einen Zug gefilmt haben der direkt auf die Kamera zufährt. Dieser Kurzfilm soll einer der ersten (oder der erste) Film in ihrer Vorführung in den 1890er Jahren gewesen sein. Das Publikum, das noch nie zuvor bewegte Bilder gesehen hatte, soll in Panik die Vorführung verlassen haben. Wie gesagt, bestätigen lässt sich das leider nicht, aber ich habe einen Film der Brüder aus dem Jahr 1897 gefunden, der sicher für die Zeitgenossen ebenfalls beeindruckend war.

*zitiert aus Wolfgang Ullrich – Die Geschichte der Unschärfe

Quellen:

Titelbild, Eisenbahn Nürnberg-Fürth, Lithografie ca. 1839 : https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Litho_-_N%C3%BCrnberg-F%C3%BCrther_Eisenbahn_-_Dilger_-_um_1839.jpg

Erste Fotografie, der Blick aus dem Arbeitszimmer von Joseph Nicéphore Niépce https://de.wikipedia.org/wiki/Joseph_Nic%C3%A9phore_Ni%C3%A9pce#/media/Datei:Point_de_vue_du_Gras_by_Ni%C3%A9pce,_1826.jpg

Portrait Louis Daguerre Von Jean-Baptiste Sabatier-Blot (1801-1881) – (Originaltext: George Eastman House) Original uploader was Cybershot800i at de.wikipedia, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11975229

Mutter mit Kind: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/80/Mother_and_child_-_beautiful_hand-tinted_ambrotype_%2811105783513%29.jpg, Lizenz: https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/

Film Brüder Lumière (gekürzt) : http://stockholmskallan.se/Soksida/Post/?nid=28971, Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en