Wusstest du, dass das Interrail Ticket für Kinder unter zwölf kostenlos ist, wenn ein Elternteil ein Ticket hat? Da mein Sohn diesen Sommer seinen zwölfte Geburtstag gefeiert hat, haben wir noch schnell die Pfingstferien genutzt, um auf große Reise zu gehen. Das Herzstück war eine Strecke, die als eine der schönsten in Europa gilt, und schon lange auf meiner Liste stand: Stockholm-Narvik. 20 Stunden mit dem Nachtzug bis weit über den Polarkreis hinaus durch die endlosen Weiten der skandinavinschen Landschaft.

Anreise

Schon die Anreise nach Stockholm hielt einige Herausforderungen bereit.

Wenn der gebuchte Zug nicht existiert…

Da Interrail nur einen Reisetag im eigenen Land erlaubt, wollten wir die Strecke Peißenberg-Kopenhagen “in einem Rutsch” erledigen. Beim Umsteigen in Hamburg stellte sich allerdings heraus, dass der gebuchte Zug garnicht exisitiert…

Nachdem wir ganz Deutschland durchquert hatten war es bereits dämmrig, als wir nach vielen Umstiegen und einer Etappe mit Bus und Fähre endlich in Dänemark im Zug saßen.

Sehr zu meiner Enttäuschung führte die alternative Route zwar über die berühmte Vogelfluglinie, allerdings nicht per Eisenbahnfähre. Die wurde nämlich 2019 eingestellt. Heute steigt man am Bahnhof Puttgarden in einen Bus um, der die Passagiere auf die Fähre nach Dänemark bringt. Dort angekommen lagen auch noch einige Straßenkilometer vor uns, bevor wir wieder in den Zug umsteigen konnten.

… das Ticket die Busfahrt nicht übersteht…

Auf Reisen weiß man nie, was kommt. Sicherheitshalber drucke ich immer allte Tickets doppelt aus und verstaue sie in unterschiedlichen Gepäckstücken. Ich habe Kopien von Ausweisen dabei, und die Krankenkassenkarte abfotografiert, damit die Daten im Handy sind. Das einzige ohne Sicherungskopie war das Interrail Ticket. Es kann in der App (nachvollziehbarerweise) nur auf einem einzigen Gerät aktiviert werden. Auf meinem Smartphone. Dessen Display irgendwo zwischen Deutschland und Dänemark so kaputt gegangen ist, dass garnichts mehr ging. Glücklicherweise glaubte uns die freundliche Zugbegleiterin, dass wir keine Schwarzfahrer waren, und wir mussten nicht mal nachlösen.

… und alle gleichzeitig nach Schweden wollen.

Nach dem Pfingstwochenende in Kopenhagen, wo wir unter anderem den ältesten Vergnügungspark der Welt kennen lernten, konnte ich mein Telefon reparieren lassen. Die nächste Herausforderng bestand darin, einen Zug nach Stockholm zu buchen. Denn auch wenn man mit dem Interrail Ticket theoretisch in jeden Zug einsteigen kann, viele Züge sind trotzdem reservierungspflichtig. Die Verbindung von Kopenhagen nach Stockholm mit dem Hochgeschwindigkeitszug scheint besonders gefragt zu sein. Wann immer ich einen Zug gefunden hatte und versuchte, über die Webseite der dänischen Bahn Plätze zu reservieren, war er ausgebucht. So haben wir uns letzendlich für den klassischen Weg entschieden: Zum Hauptbahnhof fahren und am Ticketschalter nachfragen. Wir buchten frühmorgens die Nachmittagsverbidung und verbrachten einen letzen Tag in Kopenhagen.

Schon bei der Reise durch Südschweden (Malmö-Stockholm) erinnerte ich mich wieder daran, warum Schweden mich schon als Kind so fasziniert hatte. Seen, kleine rote Holzhäuser und Wälder, in denen ganz offensichtlich Elfen und Kobolde wohnen.

 

Die “Eisenerzlinie” Stockholm-Narvik

Im Nachtzug nach Boden

Selbstportrait von Jennifer Scales - gespiegelt in einer Zugscheibe bei Nacht
Bei der Abfahrt in Stockholm im gemütlichen Schlafwagen

Das Schöne an einer sommerlichen Nachtzugreise in Skandinavien ist, dass es kaum wirklich Nacht wird. Auch wenn es nach der späten Abfahrt in Stockholm ziemlich düster wurde; als ich gegen 3 Uhr morgens aufwachte waren wir schon deutlich weiter im Norden und die Landschaft war in ein milchiges, fast unwirkliches Licht getaucht.

Normalerweise schlafe ich ausgezeichnet im Zug, aber auf dieser Strecke habe ich nach dem ersten Aufwachen kaum noch ein Auge zubekommen. Ich war einfach zu fasziniert von der Landschaft vor den Fenstern. Und ehrlich gesagt ist es natürlich auch einfach zu verlockend, wenn man im Liegen und vom Bett aus fotografieren kann.

 

Der Nachtzug hat mich übrigens nicht nur mit seinen gemütlichen Betten überzeugt, sondern auch mit der großartigen Auswahl und Aussicht im Speisewagen. Mit veganem, heißen Porridge und Hafermilch in meinem Kaffee saß ich schon morgens vor den Panoramafenstern und beobachtete wie die Dämmerung in einen (relativ trüben) Tag überging.

Über den Polarkreis nach Narvik

Nach dem Umstieg in Boden in einen regulären “Tagzug” ging es weiter Richtung Kiruna – eine Stadt mitten im Nirgendwo, deren Eisenerzmine der Grund für die Eröffnung dieser Eisenbahnlinie war. Bereits 1903 wurde die Strecke eröffnet, um die reichen Erzvorkommen zum Hafen von Narvik zu transportieren, von wo aus sie in alle Welt verschifft wurden.

Je weiter wir Richtung Norden kamen, desto “arktischer” wurde die Landschaft. Moore mit vereinzelten Bäumchen wechselten sich mit flachem, leeren Land ab, und die ersten Bergrücken zeigten sich schneebedeckt. Die letzen Wolken verzogen sich, die Sonne strahle, und ließ die malerischen Seen in dem strahlendsten Blau schimmern, das ich je gesehen habe.

Zugefrorener See in Norwegen, mit Bewegungsunschärfe, vom Zugfenster aus fotografiert
Dieser teilweise zugefrorene Seee liegt bereits in Norwegen. Bevor es in Narvik wieder auf Meereshöhe geht, liegt noch eine Bergkette (die letzten 40km nach Narvik überwinden 520 Höhenmeter!). Dort oben wirkt alles nochmal einen Ticken arktischer, mit Schneefeldern, Eis und kaum noch Vegetation.

Nach zwei (taghellen) Nächten und einem strahlend schönen Tag am Ofotfjord machten wir uns bereits auf den Rückweg – denn um ganz ehrlich zu sein, war ja die Zugfahrt der eigenliche Zweck unserer Reise. Ich könnte noch viel erzählen: über die Schwierigkeiten nach Abfahrt des letzen Busses noch zum Hostel zu kommen, die glitzernden Strände des Fjords, die lokalen Spezialitäten wie Kartoffelpfannkuchen, die freundliche Möwe auf dem Balkon und so vieles mehr.

Ein ganz kurzer Ausflug in die Eisenbahngeschichte

Damit kein Roman entsteht, wo ich eigentlich “nur kurz” über eine Zugreise berichten wollte, beschränke ich mich auf einen poetischen Eisenbahn-Fakt: Die erste Dampflokomotive, die nach Narvik kam und auf der Strecke im Einsatz war hieß “Bifrost” – nach der brennenden Regenbogenbrücke, die unsere Welt (Midgard) mit der Welt der Götter (Asgard) verbindet. Sie steht heute noch in all ihrer Pracht am Bahnhof von Narvik und erinnert daran, wie magisch diese Erfindung noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts war….

…OK, einer noch: Die Strecke wurde bereits 1922 komplett elektrifiziert, so dass die Bifrost später nur noch als Rangierlokomotive genutzt wurde.

 

Die Rückreise und die Freiheit von Interrail

Nach der Lektion bei der Anreise wusste ich wie schwer es ist, einen Platz im begehrten Stockholm-Kopenhagen Schnellzug zu ergattern. Also begann ich schon von Norwegen aus nach verfügbaren Zügen zu suchen. Leichter gesagt als getan, denn diese Verbindung war noch ausgebuchter als der Hinweg vor einigen Tagen. Weil wir keine Lust hatten, noch mehrere Tage in Stockholm zu verbringen oder mitten in der Nacht in Kopenhagen anzukommen, beschlossen wir die Freiheit von Interrail zu nutzen und sahen uns nach Alternativen um.

Per Fähre nach Gdansk

Die Zugverbindungen von Schweden nach Deutschland sind relativ überschaubar, und die Route über Kopenhagen war nicht buchbar, also war uns relativ schnell klar, dass wir eine Fähre nehmen würden – auch da bekommt man zum Teil Nachlässe auf die Fahrpreise, wenn man mit einem Interrail Ticket unterwegs ist. Wir haben mehr oder weniger alle Fährverbindungen angeschaut, und die Heimreise über Polen vor allem deshalb gewählt, weil die Verbindung gut gepasst hat, und die Übernachtfahrt eine weitere Nacht in Stockholm ersetzt hat. Auch wenn ich vorher schon wusste, dass Skandinavien nicht ganz billig ist, war ich doch immer wieder überrascht davon, wie teuer auch Jugendherbergen und Hostels sein können – von Lebensmitteln und Restaurantbesuchen ganz zu schweigen.

Ich habe vor der Reise per App etwas Schwedisch gelernt – und nur ganz wenig davon je gebraucht. Aber dieses Schild am Stockholmer Hafen konnte ich übersetzen: “Danke, dass du den Seeweg gewählt hast” ;-)

Eine gemütliche Nacht in der Kabine (ohne Fenster und daher ohne die Gefahr, etwas zu verpassen), ein mittelprächtiges Frühstück auf der Fähre (eine Fähre unter polnischer Flagge, die vor allem von Fernfahrern genutzt wird erwartet offenbar ein deutlich weniger veganes Publikum als die schwedische Eisenbahn) und schon hatten wir die Ostsee überquert.

Polen: Mohn, Mohn und noch mehr Mohn

Für unseren Weg von Gdansk über Poznan nach Berlin hatten wir fantastisches Timing. WIr haben Polen inmitten der Mohnsaison durchquert, und ich konnte die Kamera kaum einen Moment aus der Hand legen. Auch wenn mich das zeitweise fast in den Wahnsinn getrieben hat, habe ich doch unglaublich viele neue Lieblingsmotive mitgebracht.

We‘re going from Gdansk to Poznan by train, and it’s poppy flower season in Poland. They are my favourite splashes of colour in an agricultural landscape, but also tend to make me crazy. I cannot predict in which field they will show up, so I have to be on constant vigilance. It’s quite exhausting to stand between the compartments, balancing out the movement of the train and holding up the camera all the time. But whenever I go to sit down, the most beautiful field will show up, vanishing before I can make it to the window

So habe ich das an diesem Tag auf meinem Instagram Account beschrieben

Gleich folgt ein kleiner Querschnitt der “Mohnblumenausbeute”, und damit beende ich auch diesen Artikel. Es war eine unglaubliche Reise, aber bei weitem nicht die einzige dieses Jahr – deswegen komme ich auch erst 6 Monate später dazu, darüber zu schreiben.

Als nächstes ist die “Schienenkreuzfahrt” durch die Slovakei an der Reihe, die ich im Juli unternommen habe. Als nächstes berichte ich dann von meinem Balkanabenteuer im August.

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Wenn du allerdings jetzt schon gespannt bist, was es mit der Schienenkreuzfahrt auf sich hat, dann schau doch mal beim Onlinemagazin meiner Lieblingszeitschrift vorbei. “Der Passagier” ist das Magazin für Zugreisende, und mein Bericht über den Sonderzug “Czechoslovakia” ist der erste von hoffentlich vielen Beiträgen für diese großartige Publikation.